Die Ofenbauer von Auschwitz

Ein Geschichtsprojekt in der Gedenkstätte von Topf und Söhne

Wer den Erfurter Hauptfriedhof besucht, kommt an einer 44 Meter langen und 4 Meter hohen Wand vorbei. Im Mittelpunkt dieser auf großer Rasenfläche gebauten Anlage sieht man ein rotes Dreieck eingerahmt von zwei Figuren. Als monumentales DDR-Denkmal soll es an die Verfolgten des NS-Regims aus Erfurt erinnern, deren Namen und Lebensdaten auf Bronzetafeln geschrieben stehen. Bei einem dieser Namen handelt es sich nicht um einen Verfolgten der Nationalsozialisten, sondern um einen Täter.

In einer einzigen Woche im März 1943 häufte der Monteur, Heinrich Messing, 35 Überstunden auf, um mit seinem Auftrag rechtzeitig fertig zu werden. Das ehemalige KPD-Mitglied war mit einem heiklen Auftrag auf Montage geschickt worden. Er sollte einen Verbrennungsofen seines Arbeitsgebers, der Firma Topf und Söhne aus Erfurt, installieren. Diese in Deutschland führende Firma für Verbrennungstechnik stellte auch Anlagen für Krematorien her und vertrieb ihre Produkte vor dem Krieg weltweit. Die Anlage, die Messing installieren sollte, war allerdings eine Spezialanfertigung für einen besonderen Auftraggeber. Und es musste schnell gehen. Die SS hatte für ihr Lager in Auschwitz-Birkenau spezielle Verbrennungsöfen bestellt, mit denen man eine möglichst große Anzahl an Leichen in kurzer Zeit einäschern konnte. Messing wurden Häftlinge aus dem Lager für die Montage der aus den Erfurter Werken angelieferten Öfen zur Seite gestellt, für deren Arbeitskraft man nicht zahlen wollte, wie eigens im Vertrag festgehalten wurde.

Als das Krematorium II in Auschwitz zum ersten Mal seine grausame Arbeit aufnahm und die ersten Juden erbarmungslos durch Gas erstickt wurden, waren Ingenieure der Firma aus Erfurt eine Etage über ihnen bei den Verbrennungsöfen und warteten darauf, dass das so genannte Sonderkommando seine Arbeit aufnahm und die Leichen einäscherte. Die Ingenieure waren angereist, um zu überprüfen, ob alles reibungslos funktionierte und die zeitlichen Vorgaben eingehalten werden konnten. Also standen sie mit ihren Uhren da und nahmen die Zeit. Nur 30 Minuten sollte der Verbrennungsprozess der menschlichen Leichname dauern. Nachdem die Anlage aus ihrem Ermessen gut funktionierte und die Bauabschnitte der weiteren Krematorien inspiziert worden waren, reisten die Ingenieure wieder zu ihren Familien nach Erfurt. Über eine Million Menschen aus ganz Europa sind in dem größten Konzentrations- und Vernichtungslager der Nationalsozialisten ermordet worden. Dass diese industriell betriebene Ermordung von Menschen überhaupt möglich wurde, lag auch an den ehrgeizigen Ingenieuren aus Erfurt.

Das Geschichtsprojekt der Klasse 9/1 in der Gedenkstätte Topf und Söhne gab häufig mehr Fragen auf, als dass es eindeutige Antworten liefern konnte. Wieso hatte sich Messing, der als KPD-Mitglied 1933 kurzzeitig in Haft geriet, nicht diesem Auftrag in Auschwitz verweigert? Wieso machte die Firma Topf und Söhne überhaupt Geschäfte mit der SS, die für ihre schlechte Zahlungsmoral bekannt war? Warum haben die Ingenieure aus Erfurt der SS ungefragt Verbesserungsvorschläge für die Gaskammern unterbreitet?

Nach dem Krieg hat es Messing mittels eines Bürgen geschafft, die Besatzungsmacht zu überzeugen, dass er von diesen Spezialaufträgen seines ehemaligen Arbeitgebers nichts gewusst hätte. Mehr noch, er konnte bei der neuen DDR-Führung erreichen, dass sie ihn als Opfer des Faschismus anerkennen und ihn nach seinem Tod auf jene Gedenktafel schreiben. Ein Fehler, wie wir heute wissen. Die Biographie von Messing zeigt, dass der Holocaust nicht nur die Tat einer radikalen Gruppe von Überzeugungstäter im Geheimen war, sondern dass die Ermordung der europäischen Juden nur durch die aktive Beteiligung von Menschen aus der Mitte der Gesellschaft möglich war. Und diese Menschen hatten immer auch Spielräume für ihre Entscheidungen. Die Gedenkstätte Topf und Söhne belegt das mit einer eindrucksvollen Ausstellung und zeigt, dass im Gedenken an die Opfer ein Appell an uns liegt. Jeder von uns trägt Verantwortung, nicht nur für sich selbst, sondern auch immer für die Gesellschaft, in der er lebt.

TH